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Platz 8 Maus
Wie sich einem so singulären Werk wie Art Spiegelmans „Maus“ nähern? Einer Erzählung, wie sie unbedingt notwendig war, von der aber niemand geglaubt hätte, daß es so etwas geben könnte, bis sie erschien? Heftig wurde zum Beispiel darüber debattiert, ob die Form angebracht sei - eine Tierfabel, mit Figuren, wie man sie sonst nur aus Funny Animal Comics à la Micky Maus kennt. Ein Nebendiskurs, der eine Erörterung eigentlich nur lohnte, um die weit größere Verstörung in Worte zu fassen, die der Erzählgegenstand auslöst. Selbst wer mit der Thematisierung des Holocausts schon eine gewisse Erfahrung hat, wird sich Gefühlen des Entsetzens, der Erschütterung und letztlich der Trauer nicht entziehen können, die diese „Geschichte eines Überlebenden“ weckt. Das liegt nicht zuletzt daran, daß der ursprünglich aus Polen stammende Jude Wladek Spiegelman, Art Spiegelmans Vater, alles andere als ein typischer Held ist. Ein altes, wohl zynisches Bonmot sagt, die Geschichte stünde immer auf seiten der Sieger. So neigt man leicht dazu, Holocaust-Überlebende letztlich doch für Gewinner zu halten - die Historie hat ihnen schließlich recht gegeben. Und unter anderen Umständen wäre man durchaus geneigt, Wladek für einen Siegertypen zu halten - schon vor dem Krieg geht er seinen gesellschaftlichen Aufstieg umsichtig, zielstrebig und bisweilen vielleicht skrupellos an. Eigenschaften, die ihm das Überleben im Ghetto, im Untergrund und schließlich im Lager ermöglichen werden. Aber solche Maßstäbe gelten nichts im KZ, erst recht nicht, wenn auch menschliche Regungen wie Anteilnahme, Mitgefühl und Liebe im Spiel sind. Wladek hat überlebt. Aber er hat unmenschlich gelitten. Und aller Umsicht, Mut und Verantwortungsbereitschaft zum Trotz hatte er am Ende doch bloß - Glück. Ein in diesem Kontext zweifelhafter Begriff. Denn nicht nur das Lager, auch das Überleben hat tiefe Spuren hinterlassen. Zum Zeitpunkt seiner Erzählungen ist er ein alter, schwerkranker Mann und penibel bis zur Schrulligkeit. Sein Sohn Art, der die Erinnerungen erst auf Tonband aufzeichnet und dann in einem langwierigen, mühevollen Prozeß der Aneignung zu Papier bringt, hält es schwer aus bei ihm, der in seinem Verhalten stets schwankt zwischen Zuneigung und kauziger Vereinnahmung und ansonsten mit seinen Marotten jeden in seiner Umgebung schier um den Verstand bringen kann. Mit manischem Eifer achtet er darauf, nur ja nichts auch nur halbwegs Brauchbares zu vergeuden, und seine Knauserigkeit ist immer wieder Anlaß für Streit. Aber seine Lagererfahrungen haben ihn ein für alle mal gelehrt, stets auf eine Katastrophe gefaßt zu sein. Für ihn hat es so was wie Frieden seither anscheinend nie mehr wirklich gegeben. Es erscheint auch fast wie ein Wunder, daß nicht nur Wladek, sondern ebenso seine Ehefrau Anja Auschwitz überleben konnten. Bis zu ihrer Verbringung ins Lager konnte er sie beschützen, danach war jeder auf sich gestellt und dem Zufall und der Willkür ausgeliefert, möglicherweise an einen brutalen KZ-Schergen zu geraten. Schon bald nach Kriegsende fanden sie sich jedoch tatsächlich wieder und verließen nur wenige Zeit später endgültig Polen, um über Schweden schließlich in die USA zu gelangen. Dort aber beging Anja Spiegelman 1968 Selbstmord, ohne einen erklärenden Hinweis. Es liegt nahe, die Gründe im nie überwunden Holocaust zu suchen. Art Spiegelman hatte 1967 angefangen, erste Underground-Comix zu veröffentlichen. 1972 erschien von ihm „Gefangener auf dem Höllenplaneten“, eine vierseitige Story, in der er den Suizid seiner Mutter thematisiert. Das und noch ein weiterer Dreiseiter namens „Maus“ aus demselben Jahr zeigten bereits das Trauma, unter dem die gesamte Familie litt - Art hatte es von seinen Eltern geerbt. Diese Ur-„Maus“-Version, noch viel mehr Funny Animal als die ausgearbeitete Fassung, zeigt zwar einen Vater auf der Bettkante, der seinem gespannt lauschenden Jungen die KZ-Erlebnisse als Gute-Nacht-Geschichte erzählt. Die späteren, langen Einschübe, in denen Art Spiegelman ausführlich auf die Gesprächsumstände eingeht, unter denen die Aufzeichnungen der Berichte seines Vaters entstanden, und sie und sein Vorhaben zudem skrupulös reflektiert, dementieren aber die falsche Idylle. Mehrfach klingt statt dessen an, daß diese Erinnerungen wie ein Fluch über Arts Kindheit gelegen haben müssen. Fast zwanzig Jahre hat er schließlich gebraucht, um „Maus“ verwirklichen zu können. Und um genügend Abstand zu gewinnen, damit seinem Vater endlich Gerechtigkeit widerfährt. Wladek Spiegelman hatte wohl nie ein Held sein wollen und ist es vielleicht auch gar nicht gewesen - jedenfalls nicht nach Hollywood-Maßstäben. Aber er hat überlebt. Und das Zeugnis seines Leidens, seines Lebens ist ein großes, so erschütterndes wie ehrfurchtgebietendes Dokument der Menschlichkeit. Unverzichtbar. (Martin Budde) Lesetipps:
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