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Platz 30 Monsieur Jean
Männer, die 30 werden und bis dahin noch keiner Frau erfolgreich den Hof gemacht haben, müssen in manchen Gegenden dafür den Rathausplatz o.ä. fegen (solange übrigens, bis eine „Jungfrau“ sie freiküßt). Monsieur Jean, den anscheinend alle Welt nur beim Vornamen nennt, hat dieses Problem in der Großstadt Paris nicht zu gewärtigen. Trotzdem - oder gerade deshalb - schlägt ihm sein 30. Geburtstag schwer aufs Gemüt. Er ist jemand, der nur sehr zögerlich älter, erwachsen werden will und viel Zeit mit Erinnerungen und Reflexionen verbringt, vor allem, wenn es um verflossene Liebschaften geht (und davon gibt es im Leben Monsieur Jeans immerhin einige...). Die zauberhafte Leichtigkeit und die bittersüße Schwere einer jeden Beziehung, vom Glücksversprechen zu Anfang bis zu den traurigen Momenten der Trennung, faszinieren ihn gleichermaßen - von den alltäglichen Mühen dazwischen hält er allerdings vermutlich nicht viel. Er ist eben ein Romantiker, ein Schwerenöter und Herzensbrecher in einem. Selten genug hat es Comics gegeben, in denen alles - von der Haltung der Hauptfiguren über die Struktur der Erzählung bis hin zu ihrer äußeren Form - so sehr einem gemeinsamen Grundton verpflichtet ist wie in „Monsieur Jean“: So spielerisch wie das Verhalten des Helden mit seinem nur zögernden sich Ein- wie Loslassen kommen auch die einzelnen Geschichten daher, die sich anekdotisch, scheinbar absichtslos als lockerer Reigen aus (Tag-) Träumen, Alltagsmomenten und Reminiszenzen trotzdem im Laufe der Jahre zu einer Vita summieren. Verharrt Monsieur Jean dabei zumeist passiv und quasi zeitlos, so sorgen äußere Umstände für die korrekte Chronologie - sein Freundeskreis erlebt berufliche wie private Erfolge und Mißerfolge, er selbst bekommt Aufträge und Auftritte (und drückt sich gerne drumrum). Kurz: man kann Monsieur Jean doch beim Älterwerden zuschauen. Das geht zwar verlangsamt vonstatten, tut aber gar nicht so weh, wie er immer befürchtet. Im Gegenteil: selbst seine Krise zum 30. Geburtstag löst sich in Wohlgefallen auf, zuletzt ist es - wie so oft - höchst amüsant (mag auch mancher Scherz schon auf Kosten Jeans gehen...). Und immer mit Stil, denn seine Urheber Charles Berbérian (*1959) und Philippe Dupuy (*1960) - sie schreiben und zeichnen die Abenteuer ihres Monsieur Jean gemeinsam (!) - folgen der Nouvelle Ligne Claire, wie ihr Pariser Freundeskreis sie in den 80er Jahren entwickelte. Während die meisten von ihnen, darunter Serge Clerc und Ted Benoît, sich allerdings seither aus dem Comic-Geschäft weitgehend zurückgezogen haben und Yves Chaland als ihr populärster Vertreter schon 1990 verstarb, hat sich Monsieur Jean erst in den 90ern richtig entfaltet. Nicht zuletzt, weil die „Neue klare Linie“ hier perfekt zu ihrem Sujet paßt, so retro und urban, wie sie ist, und gleichzeitig aufgeschlossen, gar utopisch genug, um nicht in Nostalgie zu versinken. Außerdem lassen sich Dupuy und Berbérian genug Zeit, um in ihrer sicher aufwendigeren Form der Kooperation Inhalt und Form perfekt in Einklang zu bringen. Sie sind nicht darauf angewiesen, zügig zu arbeiten, denn außer mit ihren Comics sind sie auch als Illustratoren erfolgreich. Insofern ähneln sie selbst Monsieur Jean, der sich von selbst nie so recht festlegt, was dann gegebenenfalls andere für ihn tun. Lieber hängt er weiter seiner Vergangenheit nach, träumt in die Zukunft und hofft vor allem auf die Jungfrau, die ihn dermaleinst freiküßt – wohl ahnend, daß er sie längst schon getroffen haben mag... (Martin Budde) Lesetipps:
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