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Platz 66

Die hermetische Garage des Jerry Cornelius (u.a.)
von Moebius

 
Autor: Moebius
Zeichner: Moebius
Land: Frankreich


1963 in Frankreich: Paris kommt langsam ins Erneuerungsfieber. Beatniks und Studenten spielen mit neuen Wegen, die Gesellschaft umzukrempeln. Ein junger Mann namens Jean Giraud, der mit seiner Westernserie "Blueberry" bereits eine treue Anhängergemeinde um sich geschart hat, läßt sich in den Strom der Umwälzungen hineinziehen, liest Castaneda und Moorcock, schluckt Pilze, hört Free Jazz und Psychedelia und beginnt mit spielerischer Experimentierfreude und jeder Menge guter Laune einen Urknall auf Papier zu bannen, dessen Nachbeben bis heute in allem mitschwingen, das versucht, uns eine "Welt von morgen" zu präsentieren.

Was für einen gewaltigen Impact das Werk dieser - hier kann man es ohne weiteres behaupten - lebenden Legende auf alles hatte, was auch nur im entferntesten mit Science Fiction zu tun hat, darüber werden sich kommende Generationen von Kunsthistorikern die Köpfe heißreden können. Fest steht, daß Moebius mit seinen Stories der frühen 70er einen neuen Standard für fantastische Bildwelten erschuf, der die Comicwelt der Roboter und Riesenraumschiffe vom Pulp der amerikanischen 50er emanzipierte und mit einem Schlag erwachsen werden ließ; bereits in Geschichten wie "The long tomorrow" wurden stilistische Ideen gezündet, von der sich ganze Armeen von Nachahmern inspirieren liessen, und die sich dann in den 80ern in Kultfilmen wie "Alien" und "Blade Runner" sowie in den 90ern im gesamten ästhetischen Arsenal der Cyberpunk-Schiene wiederfanden. Futuristische Design-Attacken wie Luc Bessons "Das fünfte Element" z.B. wären ohne Moebius überhaupt nicht möglich gewesen.

Was sein Werk in der Frühphase so charmant machte, war die fast unschuldige Verspieltheit, mit der er bei der Inszenierung seiner Utopien zur Sache ging. In seiner Serie "Die hermetische Garage des Jerry Cornelius" führte er einen langen Durchmarsch durch zig verschiedene Zeichenstile und ließ die Handlung ohne vorherige Planung - ähnlich wie beim automatischen Schreiben der Surrealisten - von Folge zu Folge in völlig unvorhersehbare Richtungen kippen. Überall in seinen Arbeiten schwang stets ein sonniges Augenzwinkern mit, ein freundliches sich-selber-nicht-allzu-ernst-nehmen, selbst wenn er sich - und das tat er häufig - mit hippiesker Esotherik beschäftigte.

Als er in den Achtzigern zusammen mit Alexandro Jodorowsky den Mega-Renner der "Inkal"-Geschichten in die Welt setzte, ging dieser esoterische Gaul mit ihm durch. Seine unverwechselbare Art der Schraffur machte Platz für einen neuen, glasklaren Strich, und die Inhalte entschwebten langsam aber sicher in Richtung New-Age-Äther. Aber der irrsinnige Erfolg dieser neuen Marschrichtung bewies, daß für das Gros der Comicfans genau hier der Moebius geboren wurde, den sie bis heute schätzen, lieben und vergöttern. (Thomas Strauß)

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