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Platz 81 Das blaue Tagebuch
Der Andre Juillard der historischen Abenteuer (Die 7 Leben des Falken) war ein begabter, aber nicht sonderlich spektakulärer Zeichner, der die ihm anvertrauten Szenarien mit kühler Distanz und feinem Strich abwickelte. Er wirkte immer etwas steif, wusste nie so recht, Action zu inszenieren, fand aber dennoch ein Eckchen im Herzen der Historienstoffe liebenden Comic-Fans. Der Juillard, der Mitte der 90er plötzlich mit dem "Blauen Tagebuch" auf die Bühne trat, war ein anderer Mensch. Er hatte immer noch einen feinen Strich, er war immer noch ein bißchen steif und distanziert, aber hier machte das alles Sinn. Als hätte er endlich den Stoff gefunden, den zu Zeichnen er geschaffen worden war. "Das blaue Tagebuch" (dt. Salleck Publ.) ist eine Gegenwartsgeschichte, unspektakulär und dramatisch in einem, kühl und erotisch zugleich, eine Geschichte, die durch Zufälle in Gang gesetzt wird. Es ist eine schicksalhafte menage-a-trois in einer Zeit verbrauchter Gefühle, in der die Dinge oft nicht das sind, was sie vorgeben und Missverständnisse regieren. Keiner ist ehrlich, und wer glaubt, er sei es, lügt dennoch. Alles ist kompliziert, jeder steht sich selbst und anderen im Weg. Erinnerungen und Erwartungen setzen Kettenreaktionen in Gang, bei denen jede Energie verpufft. Ähnlich wie Olivier Assayas beschreibt Juillard eine Zeit der "Winterkinder", in der die, die sich wirklich lieben, nie zueinander finden können. "Das blaue Tagebuch" hinterlässt ein seltsam leeres Gefühl, ein Gefühl der Beklemmung, als könne die Wärme der Herzen die Eisschicht unter der Haut nicht mehr auftauen. Denn mit mechanischer Präzision verhindern immer weitere Zufälle Annäherung und dauerhaftes Glück. Wenn die Protagonistin Louise merkt, dass sie aufrichtig geliebt wird und ihre eigenen Irritationen endlich überwindet, ist es schon zu spät. Ihr Blick auf die Uhr ist nur äußere Geste eines inneren Zustands, dem in Juillards Geschichte keiner entkommen kann. (Bernd Kronsbein) Lesetipps:
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