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Platz 50 Sandman
Hierzulande denkt man bei „Sandman“ vielleicht an das kulleräugige Männlein, das abends im Dritten Traumsand verstreut und den Kindern harmlose Gutenachtgeschichten erzählt. Oder vielleicht noch an den grausamen Sandmann von E.T.A. Hoffmann. Neil Gaimans Sandman hat zum Glück von beiden etwas. Knapp 2000 Seiten berichten von der Gefangennahme, den Abenteuern und dem Reich des Traumwebers, knapp 10 Jahre haben Gaiman und verschiedene Zeichner daran gearbeitet. Was soll man in wenigen Zeilen über dieses ausufernde, weit verzweigte Universum sagen, das etliche Preise erhielt und zahlreiche Ableger gezeugt hat – Comicreihen wie „Luzifer“, „Mervyn Pumpkinhead“, „Death“ u.a.m.? Das Beste von allem ist vielleicht, dass Gaiman am Ende die vielen Fäden, die er über die Jahre spann, zu einem ordentlichen Strick verdreht und Morpheus, den Herrn der Geschichten, von den Furien in den Tod hetzen lässt. Marc Hempel hat die Geschichte vom Tod des Sandman (The Kindly Ones; dt. Die Gütigen) mit expressiven, luziden Bildern versehen, in denen jeder Strich sitzt. Die Schlichtheit seiner Kompositionen lässt der Erzählung den breiten Raum, den sie braucht, denn Gaiman erzählt höchst komplex und temporeich, immer mit einem postmodernen Augenzwinkern auf den Vorgang des Erzählens selbst hin, eine Tragödie, in der sich wilde Rache, wahre Liebe und mythische Gestalten aller Länder ein Stelldichein geben. Wenn man die Geschichte des Sandman verfolgt hat, ist man vielleicht von Hempels gänzlich andersartigen Bildern zunächst schockiert, trifft aber all die herrlich skurrilen Bewohner des Träumens und der Wachwelt wieder, die man schon aus früheren Episoden kannte: den qualmenden Kürbiskopf Mervyn, den Raben Matthew, Lyta Hall, die ihren Sohn Daniel mit einem Untoten zeugte, die seit Jahrtausenden lebende Hexe Thessaly, den Augen fressenden Alptraum Korinther; außerdem Elfen, die Götter Thor und Loki, Luzifer und viele andere. Und alle spielen ihren Part beim Untergang. Und irgendwann stellt man fest: Hempels Illustrationen in ihrer traumhaften Klarheit sind die einzig angemessenen, Gaiman zeigt sich von seiner besten Seite. Obwohl diese Geschichte ein Genuss in sich ist: so richtig goutieren kann man sie erst, wenn man auch die Vorgeschichte(n) kennt, die in den früher erschienenen Bänden erzählt wurde(n). Da hilft nur eins: selber lesen - und nicht vergessen: Schöne Träume! (Gerlinde Althoff)
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