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Platz 27 Modesty Blaise
Modesty Blaise war der erste Multimediagriff der Unterhaltungskultur (als Comic, Buch und Film mit der bedrückenden Monica Vitti und schließlich sogar im Fernsehen). Der erste Modesty-Strip erschien 1963 im Londoner Evening Standard. Als Zeichner hatte sich der Autor Peter O’Donnell den Zeitungsveteranen Jim Holdaway ausgeguckt. Eine gute Wahl, denn Holdaway blieb dem Strip bis zu seinem frühen Tod im Jahr 1970 treu. Erst 1965 debütierte Modesty Blaise als Romanfigur, doch trat hier ein merkwürdiger Effekt ein: Die vollkommen durchgeknallten Plots von O’Donnells Romanen, die sich oft nicht um Wahrscheinlichkeit und innere Logik scherten, lasen sich weit comichafter als der Comic-Strip selbst, da sie nur Abfallprodukt der Comics um die tödliche Lady waren. Modesty war ein typisches Produkt der swinging sixties und ist so britisch wie die Beatles. Sie ist eine ehemalige Diebin, die eine mafiaähnliche Bande hochgezogen hat, stinkreich geworden ist und sich inzwischen ehrlich gemacht hat. Von Zeit zu Zeit nimmt der britische Geheimdienst ihre Dienste und die ihrer Organisation in Anspruch, meist jedoch lebt sie in den Tag hinein und verbringt ihre Tage auf der Jagd nach Antiquitäten und Sex (ja, sie hat schon in den Sechzigern selbstbestimmten Sex, damals eine Revolution). Ihr zur Seite steht ihr treuer Freund Willie Garvin, ein Nahkampfexperte, der sich ironischerweise vor Feuerwaffen fürchtet. Die Plots, die sich O’Donnell für die Romane und die Zeitungstrips ausdenkt, bewegen sich oft an der Debilitätsgrenze, sind jedoch immer unterhaltsam und spannend, Pulpliteratur im besten Sinne des Wortes. Im Gegensatz zu vielen anderen täglich erscheinenden Zeitungsstrips verzichteten O’Donnell und Holdaway auf die üblichen Rekapitulationen des bisher Geschehenen. Dadurch entsteht ein flüssiger Handlungsablauf. Der Grund dafür: Die Abenteuer der tödlichen Lady wurden von vornherein seitenweise konzipiert und nicht, wie sonst üblich, von Tag zu Tag. Dadurch entsteht ein gleichbleibender Lesefluss. O’Donnell schrieb immer erst ein Drehbuch, bevor er sich mit den Zeichnern besprach. Jim Holdaway war ein Meister seines Faches, der sich ganz genau überlegte, welche Perspektive für die jeweilige Szene notwendig war. Er arbeitete sehr filmisch mit Schnitt/Gegenschnitt, durch große schwarze und weiße Flächen schuf er Kontraste und durch gezielte Schraffierungen erreichte er Grautöne, die den Strips erst ihre Atmosphäre gaben (wer sagt eigentlich, das Comics immer bunt sein müssen?). Holdaway verstand es auch, den Comics einen sehr verhaltenen britischen Sex zu geben. Eine nackte Schulter oder ein entblößtes Bein von Holdaway hatte mehr Sex als die Monstertitten-Modesty seines Nachfolgers Enrique Badia-Romero. Dieser konnte erwartungsgemäß den hohen Standard der Serie nicht halten. Dazu kamen Schwierigkeiten im Verständnis, denn Romero sprach nur sehr schlecht Englisch. 1978 gab Romero die Serie dann zunächst an John Burns ab, der jedoch bereits nach 12 Monaten das Handtuch warf. Es folgte ein zehnmonatiges Gastspiel von Patrick Wright, bevor Modesty für die nächsten sieben Jahre äußerst kompetent von Neville Colvin gezeichnet wurde. Inzwischen war auch Romero wieder auf den Geschmack gekommen (und hatte vermutlich auch besser Englisch gelernt): Seit 1986 ist er wieder O’Donnells Kollaborateur. Erwähnenswert auch, das Miramax Mitte der neunziger Jahre an einem neuen Filmscript arbeitete und DC in dieser Zeit eine von Dick Giordino wunderbar altmodisch gezeichnete Version des ersten Romans veröffentlichte. Leider sind inzwischen alle O’Donnell-Veröffentlichungen auf deutsch vergriffen. Das gilt für die elf Bücher, die zwischen 1965 und 1985 entstanden sind und bei Rowohlt veröffentlicht wurden, genauso wie für die neun Comicbände, die das gesamte Schaffen von Holdaway sammelten und bei Carlsen erschienen sind. Heute ist O’Donnell 80 Jahre alt und schreibt nur noch den täglichen Strip. Allerdings hat er Modestys Abschied wunderbar vorbereitet: In dem 1996 erschienenen Roman "Cobra Trip" sind Modesty und ihr Freund Willie alt geworden und werden ein letztes Mal vom Geheimdienst reaktiviert. (Lutz Göllner) Lesetipps:
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